BGH, Urt. v. 17. März 2022 – IX ZR 182/21

Zuzahlungsanspruch nach § 50 Abs. 1 S. 1 ZVG
(Fall von nach dem Recht der DDR erloschenen Aufbauhypotheken und Aufbaugrundschulden)

Stichwörter: Teilungsversteigerung, bestehenbleibende Rechte, Zuzahlungsanspruch


1. Der Fall

Einem Ersteher wurde in einer Teilungsversteigerung ein Grundstück zugeschlagen. Das Grundstück war mit Aufbauhypotheken und Aufbaugrundschulden (nachfolgend nur noch Grundpfandrechte genannt) nach dem Recht der DDR belastet. Nach den Versteigerungsbedingungen blieben die Grundpfandrechte als Teil des geringsten Gebots bestehen. Tatsächlich waren sie im Zeitpunkt des Zuschlags bereits erloschen.

2. Das Problem

Bei der Teilungsversteigerung bleiben eingetragene Grundpfandrechte regelmäßig bestehen und sind durch Übernahme zu decken (sogen. Deckungsgrundsatz, vgl. § 44 Abs. 1 ZVG i.V.m. § 182 Abs. 1 ZVG).

§ 44 Abs. 1 ZVG: (1) Bei der Versteigerung wird nur ein solches Gebot zugelassen, durch welches die dem Anspruch des Gläubigers vorgehenden Rechte sowie die aus dem Versteigerungserlös zu entnehmenden Kosten des Verfahrens gedeckt werden (geringstes Gebot).

§ 182 Abs. 1 ZVG: (1) Bei der Feststellung des geringsten Gebots sind die den Anteil des Antragstellers belastenden oder mitbelastenden Rechte an dem Grundstück sowie alle Rechte zu berücksichtigen, die einem dieser Rechte vorgehen oder gleichstehen.

Die Grundpfandrechte gehörten daher zum „Kaufpreis“, d.h., zum Erwerbspreis. Zivilsenate des BGH formulierten diesen Grundsatz wie folgt:

BGH, Urt. v. 21. Mai 2003 – IV ZR 452/02 –, BGHZ 155, 63-69, Rn. 7: „1. Bei der Teilungsversteigerung sind die Rechte der Beklagten als Grundschuldgläubigerin dadurch gewahrt worden, daß die Grundschuld bei der Feststellung des geringsten Gebots (§ 44 Abs. 1 ZVG) berücksichtigt und von der Klägerin als neuer Eigentümerin übernommen worden ist (§§ 182, 52 Abs. 1 ZVG). Die Klägerin hat ein belastetes Grundstück erworben, dafür aber ein entsprechend geringeres Bargebot nach § 49 Abs. 1 ZVG entrichtet; ein Teil des nach den Versteigerungsbedingungen zu erbringenden Kaufpreises ist durch den nominalen Grundschuldbetrag ersetzt worden. Da die Grundschuld bestehen geblieben ist, hat die Klägerin aus dem ihr zugeschlagenen Grundstück die Beklagte bei Fälligkeit der Grundschuld zu befriedigen.“

BGH, Urt. v. 29. Januar 2016 – V ZR 285/14, BGHZ 209, 1-8, Rn. 9 (ähnlich BGH, Urt. v. 19. März 1971 – V ZR 166/68 –, Rn. 20, juris; BGH, Urt. v. 17. Mai 1988 – IX ZR 5/87 –, Rn. 38, juris; BGH, Urt. v. 09. Februar 1989 – IX ZR 145/87, BGHZ 106, 375-380, Rn. 21, juris): „Die Übernahme der Grundschuld bildet einen Teil des von ihm geschuldeten Versteigerungserlöses. Zuzüglich des bar zu zahlenden Teils des geringsten Gebots (§ 49 Abs. 1 ZVG) ergibt sich der Preis, den der Ersteher für das Grundstück zu bezahlen hat."

BGH, Urt. v. 17. Mai 1988 – IX ZR 5/87 –, Rn. 38, juris: „Für den Ersteher eines Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren wird aber der Erstehungspreis nicht nur durch das Bargebot bestimmt. Hinzuzurechnen ist vielmehr der Wert der Grundstücksbelastungen, die als Teil des geringsten Gebots nach den Versteigerungsbedingungen beim Zuschlag bestehen bleiben. Denn diese Belastungen muß der Ersteher übernehmen und, soweit es sich um Grundpfandrechte handelt, die Gläubiger später befriedigen. …“

In dem streitgegenständlichen Fall bestanden die Grundpfandrechte im Zeitpunkt des Zuschlags nicht. Es stellte sich daher die Frage, ob sich der „Kaufpreis“ für den Ersteher verringerte. Da die Teilungsversteigerung geschlossen war, stellte sich auch die Frage, ob die Berechtigte (hier: die Alteigentümerin) den Zuzahlungsbetrag außerhalb der Teilungsversteigerung im Prozesswege geltend machen kann.

3. Die Entscheidung

a) Zuzahlungsbetrag

Die Lösung ergibt sich aus § 50 Abs. 1 ZVG. Die Vorschrift lautet:

§ 50 Abs. 1 ZVG: (1) Soweit eine bei der Feststellung des geringsten Gebots berücksichtigte Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld nicht besteht, hat der Ersteher außer dem Bargebot auch den Betrag des berücksichtigten Kapitals zu zahlen. In Ansehung der Verzinslichkeit, des Zinssatzes, der Zahlungszeit, der Kündigung und des Zahlungsorts bleiben die für das berücksichtigte Recht getroffenen Bestimmungen maßgebend.

Demgemäß verurteilte der IX. Zivilsenat den Ersteher aufgrund der Klage der Alteigentümerin zur Zahlung des Kapitals der Grundpfandrechte. Den Deckungsgrundsatz formulierte der IX. Zivilsenat in der Entscheidung wie folgt:

b) Besteht das im geringsten Gebot berücksichtigte Grundpfandrecht im Zeitpunkt des Zuschlags nicht, braucht der Ersteher den Gläubiger nicht zu befriedigen. Dieser Vorteil gebührt ihm nicht, wenn das Grundpfandrecht, obwohl es nicht bestand, in das geringste Gebot aufgenommen worden war und so das Bargebot entsprechend minderte. Die Zuzahlungspflicht des § 50 ZVG sichert die in der Erlösverteilung ausgefallenen Berechtigten und dann, wenn es solche nicht gibt, den (früheren) Eigentümer (Kindl/Meller-Hannich/Stumpe/Simon, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., § 50 ZVG Rn. 1; Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 16. Aufl., § 50 Rn. 1; Stöber/Gojowczyk, ZVG, 22. Aufl., § 50 Rn. 4). Der Beklagte hat in den Tatsacheninstanzen nicht behauptet, dass es nachrangige Grundpfandgläubiger gegeben habe, die ausgefallen seien. Entsprechenden Sachvortrag hat die Revision nicht nachgewiesen.

Der letzte Satz in dem Zitat ist dem Umstand geschuldet, dass den Zuzahlungsanspruch nur derjenige geltend machen kann, der einen Anspruch auf Zuteilung in dem Teilungsversteigerungsverfahren gehabt hätte.

b) Verfolgung des Zuzahlungsbetrages im Prozessweg

Der Umstand, dass sich erst nach Beendigung der Teilungsversteigerung herausstellte, dass die Grundpfandrechte nicht mehr bestanden, führt nicht dazu, dass sich der „Kaufpreis“ für den Ersteher verringert. Die Alteigentümerin hatte als Berechtigte einen Anspruch, den sie im Prozessweg geltend machen konnte. Der IX. Zivilsenat begründete dies wie folgt:

BGH, Urt. v. 17. März 2022 – IX ZR 182/21 –, Rn. 11: c) Stellt sich erst nach der Verteilung des Erlöses heraus, dass ein in das geringste Gebot aufgenommenes Grundpfandrecht nicht besteht, kann der Ersatzbetrag vom Berechtigten unmittelbar beansprucht und im Prozessweg geltend gemacht werden (vgl. BGH, Urt. v. 2. November 1965 - V ZR 82/63, NJW 1966, 154; OLG Düsseldorf RPfl 1996, 298; Stöber/Gojowczyk, aaO Rn. 17). Grundsätzlich ist zwar gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 ZVG im Teilungsplan festzustellen, wem ein etwa nach § 50 ZVG zu zahlender weiterer Betrag zuzuteilen ist. Wenn aber, wie hier, erst nach dem Verteilungstermin geltend gemacht wird, dass eine Zuzahlung in Frage kommt, so ist ein etwaiger Ersatzbetrag im Prozessweg geltend zu machen. Eine Nachtragsverteilung findet nicht statt (BGH, Urt. v. 2. November 1965, aaO; OLG Düsseldorf, aaO).

4. Anmerkung des Anwalts Dr. Clemente

Bei Sicherungsgrundschulden stellt sich die Problematik regelmäßig nicht. Die Tilgung des gesicherten Darlehens führt nicht zum Erlöschen der Grundschuld. Die Tilgung löst den Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld aus.

Anders kann sich die Rechtslage bei Gesamtgrundschulden darstellen.