OLG München, Urt. v. 20. Juli 2022 – 7 U 6031/20

Verpflichtung des Erstehers zur Zahlung von Grundschuldzinsen

Stichwörter: Teilungsversteigerung - Grundschuldzinsen - Zinsen der Grundschuld - Ersteher - Zuschlag


1. Der Fall

Eine Erbengemeinschaft war Eigentümerin eines Grundstücks. Die Erbengemeinschaft bestand aus der Klägerin und der Beklagten. Das Grundstück war mit folgenden drei verzinslichen Grundschulden belastet:

  • III/1 100.000 DM = 51.129,19 €, verzinslich mit jährlichen Zinsen von 11 %
  • III/2 100.000 DM = 51.129,19 €, verzinslich mit jährlichen Zinsen von 12 %
  • III/3 300.000 €, verzinslich mit jährlichen Zinsen von 15 %
  • Im Jahr 2015 wurde die Teilungsversteigerung über das mit den Grundschulden belastete Grundstück angeordnet. Das Grundstück wurde aufgrund eines baren Meistgebot von 220.000 € der beklagten Miterbin am 07.06.2017 zugeschlagen.

    Ursprünglicher Gläubiger der Grundschulden war eine Sparkasse, deren Forderungen mit rd. 72.000 € valutierten. Nach dem der Sparkasse auf die bis zum Zuschlag angefallenen Grundschuldzinsen 133.223,94 € (2x 11.861,97 € sowie 109.500 €) zugeteilt wurden, rechnete die Sparkasse ab, kehrte den Übererlös von 77.922,16 € an die Erbengemeinschaft aus und trat die Grundschulden „mit Zinsen seit 07.06.2016“ an die Erbengemeinschaft ab.

    Um die Grundschulden abzulösen, zahlte die Miterbin als Ersteherin an die andere Miterbin am 27.12.2017 189.512,60 € (mit Wertstellung 28.12.2017) auf die der Klägerin gebührenden 201.129,19 € (die Hälfte von 402.258,38 €).

    2. Das Problem

    In dem vorliegenden Fall wurden von der beklagten Miterbin als Ersteherin und neue Eigentümerin des Grundstücks die Duldung der Zwangsvollstreckung in das belastete Grundstück wegen der für die Zeit vom 07.06.2017 bis 27.12.2017 angefallenen Grundschuldzinsen in Höhe von 89.247,32 € gefordert.

    3. Die Lösung

    Die Miterbin als Ersteherin des Grundstücks hat die Zwangsvollstreckung in das Grundstück zu dulden. Der Duldungsanspruch ergibt sich aus den §§ 1192 Abs. 1, 1147 BGB. Die Miterbin hat ein mit verzinslichen Grundschulden belastetes Grundstück erworben. Um lastenfreies Eigentum zu erhalten, muss sie nicht nur das Grundschuldkapital ablösen, sondern auch die Grundschuldzinsen, und zwar ab dem Zuschlag (§ 56 ZVG).

    4. Anmerkung des Rechtsanwalts Dr. Clemente

    4.1 Grundschuldzinsen ab Zuschlag

    Das OLG hat die Ersteherin mit Recht zur Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück verurteilt. Die Ersteherin hat die Grundschuldzinsen ab Zuschlag zu tragen (§ 56 Satz 2 ZVG).

    § 56 ZVG: 1Die Gefahr des zufälligen Unterganges geht in Ansehung des Grundstücks mit dem Zuschlag, in Ansehung der übrigen Gegenstände mit dem Schluß der Versteigerung auf den Ersteher über. 1Von dem Zuschlag an gebühren dem Ersteher die Nutzungen und trägt er die Lasten. 3Ein Anspruch auf Gewährleistung findet nicht statt.

    4.2 Deckungsgrundsatz

    Die Entscheidung illustriert den Deckungsgrundsatz.

    4.2.1 Bardeckung: Die Zinsen der Grundschulden bis einen Tag vor dem Zuschlag waren bar zu decken. Folgt man den Angaben im Tatbestand des Urteils erhielt die Sparkasse auf die bis zum Zuschlag angefallenen Grundschuldzinsen 133.223,94 € (2x 11.861,97 € sowie 109.500 €) zugeteilt.

    4.2.2 Deckung durch Übernahme: Durch Übernahme wurden die Grundschulden III/1 und III/2 über jeweils 100.000 DM (= jeweils 51.129,19 €) sowie die Grundschuld III/3 über 300.000 € gedeckt. Ebenso wurden die Grundschuldzinsen ab Zuschlag durch Übernahme gedeckt.

    4.2.3 Unrichtigkeiten: Nachvollziehen lassen sich die Zinsbeträge nicht. In dem Urteil heißt es bei Rn. 4, juris, dass dem Gläubiger der Grundschulden „dingliche „Hauptsachezinsen“ (also Grundschuldzinsen) von 12% aus den in Abteilung III Nrn. 1 und 2 des Grundbuchs eingetragenen Grundschulden sowie von 15% aus der in Abteilung III Nr. 3 eingetragenen Grundschulden jeweils für den Zeitraum 01.07.2014 bis 06.06.2016 von 133.223,94 € (2x 11.861,97 € sowie 109.500 €) zugeteilt worden seien. Demgegenüber heißt es bei Rn. 3, juris, des Urteils, dass die Grundschulden „Nrn. 1 und 2 mit 11% bzw. 12% p.a.“ verzinslich waren. Zudem dürfte es sich bei dem angegebenen Zinsbeginn „01.07.2014“ um einen Schreibfehler handeln. Grundschuldzinsen sind üblicherweise am Anfang eines jeden Jahres für das abgelaufene Kalenderjahr fällig. Ausweislich des Aktenzeichens erfolgte die Beschlagnahme im Jahre 2015. Waren die Zinsen am Anfang des folgenden Kalenderjahres für das abgelaufene Jahr zu entrichten, begann der Zinslauf der laufenden Zinsen am 1.1.2014.

    4.3 Kaufpreis

    Der "Kaufpreis" der Miterbin betrug somit 402.258,38 € zuzüglich der ab Zuschlag angefallenen Grundschuldzinsen. Hinzu kommen Erwerbsnebenkosten (Grunderwerbsteuer etc).

    4.4 Antrag

    Der Anspruch auf die Grundschuldzinsen steht der Erbengemeinschaft zu. Die Erbengemeinschaft bestand aus der klagenden Miterbin und der beklagten Miterbin als Ersteherin. Die klagende Miterbin forderte mit der Klage die Verurteilung der anderen Miterbin wegen Grundschuldzinsen in Höhe von 89.247,32 EUR "zugunsten der aus der Klägerin und der Beklagten bestehenden Erbengemeinschaft" die Duldung Zwangsvollstreckung in das belastete Grundstück.

    Das Landgericht ließ den Zusat "zugunsten der aus der Klägerin und der Beklagten bestehenden Erbengemeinschaft" weg.

    Das OLG stellte in seinem Urteil klar, dass die Zwangsvollstreckung in das Grundstück „zugunsten der aus der Klägerin und der Beklagten bestehenden Erbengemeinschaft“ zu erfolgen hat.

    Die Klarstellung hat ihren Grund darin, dass die Klägerin als Miterbin eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels verlangen kann, die nur sie als Vollstreckungsgläubigerin ausweist. Der Anspruch gehörte zum Nachlass. Die Miterbin konnte daher von der anderen Miterbin als Ersteherin Leistung an alle Erben fordern (§ 2039 Satz 1 BGB). Die Vorschrift gewährleistet, dass dass jeder Miterbe die durch Untätigkeit einzelner Miterben drohenden Nachteile abwenden kann, ohne selbst einen unberechtigten Sondervorteil zu haben und ohne erst umständlich auf Zustimmung der übrigen Miterben klagen zu müssen. Der VII. Zivilsenat des BGH formulierte dies in seinem Beschluss vom 4. November 2020 – –, BGHZ 227, 336-342, bei Rn. 18 – 21 wie folgt:

    (1) Nach dem bereits dargestellten Sinn und Zweck von § 2039 Satz 1 BGB soll es jedem Miterben möglich sein, unabhängig von den weiteren Miterben einen zum Nachlass gehörenden Anspruch einzufordern, einzuklagen und im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Letzteres würde erheblich erschwert beziehungsweise verhindert, könnte ein Miterbe nur eine vollstreckbare Ausfertigung erlangen, die nicht ausschließlich ihn, sondern alle Miterben als Vollstreckungsgläubiger ausweisen würde.

    Werden in einer vollstreckbaren Ausfertigung mehrere Personen als Vollstreckungsgläubiger bezeichnet, so ist der Vollstreckungsantrag (s. für die Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher § 753 ZPO) grundsätzlich durch alle als Vollstreckungsgläubiger bezeichneten Personen gemeinsam zu stellen. Anderes gilt, wenn sich aus dem dem Titel zugrundeliegenden Rechtsverhältnis materiell-rechtlich ergibt, dass jeder Vollstreckungsgläubiger die Leistung an alle fordern kann (...). Nach dem Prinzip der Formalisierung der Zwangsvollstreckung ist es aber grundsätzlich nicht die Aufgabe des Vollstreckungsorgans, materiell-rechtliche Prüfungen vorzunehmen. Die Vollstreckungsorgane haben deshalb eine titulierte Forderung nicht dahingehend zu bewerten, ob es sich um einen von einem Miterben geltend gemachten Nachlassanspruch handelt und deshalb die Voraussetzungen des § 2039 Satz 1 BGB erfüllt sind. Das Vollstreckungsorgan kann daher auf den Vollstreckungsantrag eines von mehreren Vollstreckungsgläubigern nur tätig werden, wenn sich aus dem Titel unabhängig von einer materiell-rechtlichen Prüfung eindeutig das Recht dieses Vollstreckungsgläubigers ergibt, losgelöst von den anderen den titulierten Anspruch zu vollstrecken. Diese Voraussetzung wird im Regelfall nicht vorliegen mit der Folge, dass kein zulässiger Antrag auf Durchführung der Zwangsvollstreckung gestellt wird und das Vollstreckungsorgan ein Tätigwerden zu Recht ablehnt.

    (2) Die Rechte des Vollstreckungsschuldners werden nicht dadurch in unangemessener Weise eingeschränkt, dass jeder Miterbe, der Titelgläubiger ist, eine vollstreckbare Ausfertigung verlangen kann, die nur ihn als Vollstreckungsgläubiger ausweist.

    In diesem Fall kann zwar aufgrund mehrerer vollstreckbarer Ausfertigungen in das Vermögen des Schuldners vollstreckt werden, wobei es hier dahingestellt bleiben kann, ob es sich um weitere vollstreckbare Ausfertigungen nach § 733 ZPO handelt (bejahend: ... verneinend: ... ). Der Schuldner ist aber dadurch hinreichend geschützt, dass er im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 Abs. 1, § 775 Nr. 1, § 776 Satz 1 ZPO und im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 769, 775 Nr. 2 ZPO geltend machen kann, der titulierte Anspruch sei bereits durch eine erfolgreiche Vollstreckung eines anderen Miterben ganz oder teilweise erfüllt.