LG Berlin, Urteil vom 12. Januar 2022 – 10 O 371/18 (nicht rechtskräftig)

Unzulässigkeit von Grundschuldzinsen bei Drittsicherung

Stichwörter: Grundschuldzinsen - Zinsen der Grundschuld - Drittsicherung


1. Der Fall

Ein Erblasser hatte im Jahr 2002 einem Gläubiger für Verbindlichkeiten Dritter, nämlich für Verbindlichkeiten seiner Frau und seiner Tochter, eine mit 15 % verzinsliche Grundschuld über 250.000 € bestellt. Im Jahre 2017 wird auf Antrag des Gläubigers die Zwangsversteigerung des mit der Grundschuld belasteten Grundstücks angeordnet. Der Gläubiger macht neben dem Grundschuldkapital Grundschuldzinsen ab 1.1.2013 geltend. Die gesicherten Verbindlichkeiten der Dritten übersteigen das Grundschuldkapital nebst Zinsen bei weitem. Der Erbe fordert die Rückgewähr der Grundschuld.

2. Das Problem

Bei dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall handelt es sich um einen häufigen Fall, der auf die Formularpraxis zurückzuführen ist. Der Praxis ist die Site "Grundschuldzinsen - Fragen und Antworten" gewidmet. Das Problem des Falles ist das, dass weit mehr als das Grundschuldkapital zu zahlen ist. Die Grundschuldzinsen übersteigen das Grundschuldkapital bei weitem. Die Zwangsversteigerung ist nach wie vor anhängig. Per 31.1.2022 belaufen sich die Grundschuldzinsen auf 340.625,00 € (15,000 % v. 01.01.2013 bis 31.01.2022 (3270) aus 250.000,00). Die Grundschuldzinsen ab dem 1.1.2014 genießen den Rang der Grundschuld.

3. Die Lösung

Das Landgericht ist der Auffassung, dass die Grundschuldzinsen - da ein Drittsicherungsfall vorliegt - nicht geltend gemacht werden können. Seine Auffassung begründete das Landgericht auf S. 29 ff. des Urteils wie folgt:

«Bei der Bemessung der Höhe des Betrages, von dessen Zahlung die Abtretung der Grundschuld abhängig zu machen war, waren Grundschuldzinsen nicht zu berücksichtigen. Das Gericht folgt der Rechtsauffassung des Klägers, wonach dann, wenn die Grundschuld nicht Verbindlichkeiten des Grundstückseigentümers, sondern Verbindlichkeiten Dritter absichert, die Vereinbarung von Grundschuldzinsen durch AGB als überraschende Klausel iS. des § 305c Abs. 1 BGB und daher als unwirksam anzusehen ist. Dafür spricht die Erwägung, dass derjenige, der für die Verbindlichkeit eines Dritten eine Grundschuld in Höhe eines bestimmten Betrages bestellt, im Allgemeinen von der Vorstellung geleitet wird, dass er einen Betrag in dieser Höhe aus seinem Vermögen für einen Dritten zur Verfügung stellt und sich darauf sein wirtschaftliches Risiko beschränkt. Selbst wenn ein angemessen aufmerksamer Verbraucher beim Lesen der Grundschuldbestellungsvereinbarung die Regelung über die Grundschuldzinsen wahrnimmt, wird damit häufig nicht die Erkenntnis eingehen, dass sich, auch unter Berücksichtigung von Verjährungsvorschriften, sich aufgrund der Zinsen, der Umfang der dinglichen Haftung um 45 Prozent erhöht, nämlich 15 x 3 Prozent des Nennbetrages der Grundschuld, und dass sich der Umfang dann sogar, wegen § 2012 Abs. 1 Nr. 2 BGB, weiter erhöhen kann, wenn die Zwangsvollstreckung beantragt oder angeordnet wird.

Auch eine an der verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsgarantie, Art. 14 GG, orientierte Auslegung spricht für diese Sichtweise.

Der Umstand, dass der Erblasser vor der hier in Rede stehenden Grundschuldbestellung schon zwei verschiedene Grundschulden, ebenfalls mit Grundschuldzinsen, bestellt hat, nämlich für die A... und für W..., steht der Annahme, dass bei der Grundschuld III/16 die Vereinbarung von Grundschuldzinsen überraschend i.S. des § 305c Abs. 1 BGB war, nicht entgegen. (S. 30 des Urt.) Denn es handelte sich bei den vorangegangenen Grundschulden um solche, die als Sicherheit für eigene Verbindlichkeiten des Erblassers dienten. Für denjenigen, der ein Grundpfandrecht zur Sicherung eigener Verbindlichkeiten bestellt, wirken sich die Grundschuldzinsen bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht wesentlich aus. Denn je größer der Betrag ist, den ein Gläubiger aus dem Grundpfandrecht vollstreckt, umso mehr ermäßigt sich im Zweifel die eigene persönliche Schuld des Eigentümers. Regelmäßig hat der Grundschuldeigentümer daher keinen wirtschaftlichen Nachteil.

Soweit die Beklagte geltend macht, dass angesichts unzureichender Einnahmen des Erblassers das Grundstück M.. durch den Hotelbetrieb querfinanziert werden sollte (vgl. Schriftsatz vom 5.11.2021), so würde es sich bei wertender Betrachtung nicht um einen typischen Drittsicherungsfall handeln. Gleichwohl verbleibt es dabei, dass im Zweitpunkt (sic) der Bestellung der Grundschuld III/16 ausschließlich der Erblasser Eigentümer des Grundstücks war und er in Bezug auf die Darlehen, deren Sicherung die Grundschuld III/16 dienen sollte, unzweifelhaft nicht persönlicher Schuldner war. Im Ergebnis verbleibt es dabei, dass der Erblasser für die Verbindlichkeit Dritter auf einem ihm allein gehörenden Grundstück ein Grundpfandrecht bestellt hat.

Für die hier vorgenommene Auslegung, die Vereinbarung von Grundschuldzinsen als überraschend anzusehen, spricht im vorliegenden Fall zudem auch der vom Kläger angeführte Gesichts-(S. 31 des Urt.)punkt, dass die Beklagte mit Schreiben vom 14.5.2002 an die Hotelbetreiberinnen, vgl. Anlage B 15 zum Schriftsatz vom 25.10.2019, in welchem sie die Unterlagen zur Grundschuldbestellung beigefügt hatte, die Bestellung einer Grundschuld in Höhe von 250.000 EUR verlangt hat und in diesem Zusammenhang ausgeführt hatte „Die Höhe der Grundschuld entspricht in etwa der Größenordnung der zu stundenden Zinsen sowie Tilgungsaussetzungen“. Diese Erläuterung war geeignet, den Eindruck zu verstärken, als beschränke sich die Haftung auf diesen Betrag. Insoweit wird auf den Rechtsgedanken von § 310 Abs. 3 nr 3 (sic) verwiesen, wonach bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen sind.»

4. Anmerkung des Rechtsanwalts Dr. Clemente

Soweit ersichtlich urteilte erstmals ein deutsches Gericht, dass die Geltendmachung formularmäßig vereinbarter Zinsen nicht rechtens ist. Das Landgericht folgt letztlich der von Rechtsanwalt Dr. Clemente in seinem Fachbuch, Recht der Sicherungsgrundschuld, 4. Aufl., Rn 362 (ebenso in dem Aufsatz Clemente/Lenk, Planmäßige Übersicherung durch Grundschuldzinsen, ZfIR 2002, 337-343), vertretenen Auffassung. Seiner Auffassung hat sich Schoppmeyer, Mitglied des 9. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, in Loschky/Fischer/Gehrlein, Das Recht der Kreditsicherung, 10. Aufl. (2018), Rd. 224a, angeschlossen.